In meinem vorigen Beitrag „Gendern I: Die Männlichkeit der Sprache“ habe ich kurz umrissen, worum es bei der sogenannten Genderdiskussion aus sprachlicher Sicht geht und welche Lösungsansätze es im Deutschen und Spanischen gibt. Eine verbindliche Richtlinie ist in absehbarer Zeit nicht in Sicht, zumindest keine, die alle Parteien zufriedenstellen würde. Im Gegenteil: Die Diskussion um die Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache hat gerade erst begonnen, muss das Bewusstsein dafür vielerorts und in vielen Köpfen erst geschaffen werden.
Sachlichkeit als Lösungsansatz
Am Ende lautete mein Ansatz, eine gänzlich neutrale Sprache – ohne grammatikalische Geschlechter (oder nur mit dem Neutrum) – wäre vielleicht die beste Lösung. Hierzu wollte ich ein kleines, erstes Sprachexperiment wagen. Der folgende Versuch soll als das verstanden werden, was es ist: eine gedankliche Spielerei. Mit Blick auf die aktuelle Diskussion ist mir bewusst, dass damit kein praktikabler Lösungsansatz für eine gendergerechte Sprache geliefert wird.
In meinen Augen sah es so aus, als laute das Gebot, die Dächer, Fenster und Fassadenelemente der Häuser in diesem Viertel so zu gestalten, dass beim Betrachten ein Gefühl des vollkommenen Durcheinanders aufkommt. Des absoluten Wirrwarrs. Oder eher des friedlichen Nebeneinanders? Denn das Aussehen wechselte abrupt, viele bunte Bilder wechselten sich ab, als stünde man vor einem sich drehenden Karrussell und ließe Boote, Pferde und Motorräder an sich vorbeiziehen. Wie herabfallendes Konfetti am Ende eines Fests oder durcheinandergeworfene farbenfrohe Kissen verschiedenartiger Muster auf einem Sofa. Wie ein ganzes spielbereites Orchester auf einem riesigen Podest.
Dieses abwechslungsreiche Häusermeer war ein mögliches Motiv für das Cover meines neuen Musikalbums. Ich griff nach dem Handy, um ein Foto zu machen. Bei diesem Panorama konnte ich mich auch endlich auf ein Genre für mein nächstes Werk festlegen. Das war bisher genau das Problem.
Denn das letzte Jahr war für mich alles andere als einfach gewesen. Aufgrund meines Leidens, das mein Lungenvolumen schwinden ließ, hatte ich das Saxophonspielen aufgeben müssen. Neben dem Mikrofon stand dafür jetzt in meinem Arbeitszimmer ein E-Piano. Das Talent dafür hatte ich, das Musizieren lag mir im Blut, egal auf welchem Instrument. Das kalte Metall, das Mundstück, das endlose Suchen nach dem perfekten Blättchen … das alles würde mir allerdings fehlen.
Im Auto rief ich das Studio an, das mich nach dem Ereignis nicht hatte fallen lassen. Genre und Covermotiv waren nun gefunden, und nach kurzem Überlegen fiel mir auch ein Motto ein, das zum Bild, zum Label und zu meinem Image passte und auch etwas über mein Publikum aussagte: Land des Miteinanders.
Auf meinem Gesicht und in meinem Herzen spürte ich ein Lächeln. Am Ende würde alles gut werden.
Update Dezember 2021: Der Text entstand ein Jahr vor Corona.
Zu Beginn des Experiments war ich selbst sehr neugierig auf das Ende, und ich finde, ohne grammatikalische Geschlechter (beziehungsweise nur mit dem Neutrum) lässt sich eine kleine Geschichte erzählen. Selbstverständlich ist sie verbesserungsfähig und wirkt hier und da gekünstelt. Im Schreibprozess fand ich es jedenfalls sehr interessant, wie die selbst auferlegte Einschränkung die Handlung in eine bestimmte Richtung schubste.
Wohin wohl diese Reise führen würde, wenn der Text durchweg weiblich oder männlich wäre?
Adriana Netz ist Übersetzerin für Spanisch, Französisch und Deutsch. Ihre Fachgebiete sind Urkunden, Recht, Umwelt und Literatur. In ihrem Blog Über den Schreibtischrand berichtet sie von ihrem Berufsalltag als Übersetzerin von Urkunden, Rechtstexten und spanischer und lateinamerikanischer Literatur und greift auch gern Interessantes, Schönes, Nerviges und Skurriles auf, was sich neben dem Schreibtisch abspielt.