„Merkwürdige“ Kunden

Übersetzungen: Kunden aus Argentinien
Quebrada de las Conchas, Valles Calchaquíes, Argentinien

Für mich als freiberufliche Übersetzerin im Home-Office hat sich in „Corona-Zeiten“ rein arbeitstechnisch im Grunde nichts geändert. Denn auch schon vor der Kontaktbeschränkung und dem #StayHome-Aufruf saß ich tagsüber meistens am Schreibtisch im häuslichen Arbeitszimmer (AZ). Und auch danach wird es wieder so sein – hoffentlich bald.

Früher habe ich jedoch viel mehr Kunden in meinem AZ empfangen als heute. Sie holten die übersetzten Urkunden persönlich ab und bezahlten in bar. Alles war schön. Doch das veränderte allgemeine Sicherheitsempfinden aufgrund der neueren Weltgeschehnisse ließ mich nicht unberührt. Irgendwann ging ich dazu über, möglichst keine persönliche Abholung zu vereinbaren und auch nicht mehr in Vorleistung zu gehen, weil ich zunehmend fürchtete, die Kunden würden gar nicht zur Abholung auftauchen, sodass ich am Ende umsonst gearbeitet hätte. Seitdem gilt bei Urkundenübersetzungen für Privatkunden Vorkasse per Überweisung und möglichst Lieferung der fertigen Übersetzungen per Post.

Allerdings erlebte ich in meinem AZ dem wahren Wortsinn nach „merkwürdige“ Begebenheiten – Dinge, die mir selbst nach Jahren in Erinnerung bleiben werden. Ich greife hier einige auf, die einen kleinen Einblick in den Berufsalltag einer Übersetzerin im Home-Office geben:

Windeln

Einmal kam eine Dame zur Abholung einer Urkunde mit ihrem kleinen Sohn. Wie das so ist, stellte sich auf einmal heraus, dass die Windel voll war. Kurzerhand und ohne viel Umschweife beschloss die Dame, den Boden meines AZ in einen Wickeltisch umzuwandeln. Alles Nötige hat „frau“ ja dabei, wenn der Nachwuchs mit dabei ist. Auf ihre eher rhetorische Frage hin, ob ich denn etwas dagegen hätte, schüttelte ich nur überrascht mit dem Kopf und schaute vorsichtshalber weg. Zum Glück hatte die Dame genügend Feuchttücher und eine Tüte mit.

Parfumwolke

Eines Nachmittags kam ein äußerst höflicher und sehr eleganter Kunde, der aus alten Zeiten zu stammen schien. Im Grunde war er sehr angenehm, wenn auch etwas ungewöhnlich. Unangenehm hingegen war die intensive Duftwolke, die ihn umgab und die er hinterließ. Kaum hatte er sich verabschiedet, musste ich sämtliche Fenster aufreißen, um wieder Luft holen zu können. Noch Tage später lag sein Herrenparfum in der Luft.

Händeschütteln

Eine ältere Frau kam wegen der Übersetzung der Geburtsurkunde ihres zukünftigen Ehemannes. Er begleitete sie zwar, sprach jedoch kaum ein Wort. Bei der Verabschiedung sagte sie zu ihm: „Gib ihr (also mir) zum Abschied die Hand.“ Und zu mir gewandt sagte sie: „Wenn er in Deutschland leben möchte, dann muss er sich integrieren. Einer Frau die Hand zu schütteln, gehört dazu. Auch wenn die Männer in seinem Land es nicht tun.“

Tucumán/Argentinien

Ein Pärchen aus Tucumán/Argentinien holte sich die Übersetzung ihrer Abschlüsse ab, um in Berlin auf Arbeitssuche zu gehen. Da bei mir ein paar Monate später eine Argentinienreise in genau diese Gegend anstand, fragte ich sie nach Reisetipps. Nach Tucumán hatte ich schon immer gewollt, weil ich seit Kindheitstagen von der „Casita de Tucumán“ gehört hatte, das Gebäude, in dem die Unabhängigkeit der Vereinigten Provinzen des Río de la Plata (Vorläufer Argentiniens) von Spanien erklärt wurde.

Der Aussage des Pärchens nach war die Stadt an sich nichts Besonderes, doch da ich von Salta im Norden aus anreisen wollte, empfahlen sie die östliche Strecke über die Schlucht „Quebrada de las Conchas“ in den „Valles Calchaquíes“ (Kette zusammenhängender Täler am Ostabhang der Anden). Ursprünglich wollte ich die westliche Strecke über Cachí und den Kakteen-Nationalpark „Los Cardones“ nehmen.

Heute nach langer Zeit bin ich noch immer heilfroh über ihren Tipp. Auch wenn ich wegen meiner großen Liebe zu Kakteen bedauere, den Nationalpark verpasst zu haben, so möchte ich die Erfahrung nicht missen, stundenlang mit vor Verblüffung offenem Mund und vor Fassungslosigkeit lachend aus dem Wagenfenster zu schauen. Die Erfahrung anzuhalten, auszusteigen und voller Demut zu staunen. Die Schönheit dieser schroffen Naturlandschaft mit ihrer unglaublichen Farbpalette und diese unfassbare Weite waren einfach überwältigend.

Weitere „merkwürdige“ Erlebnisse

Über weitere „merkwürdige“ Erlebnisse mit Kunden, die sich allerdings nicht unmittelbar in meinem AZ abgespielt haben, werde ich in einem zweiten Beitrag berichten.

Abschließend möchte ich versichern, dass ich die meisten Kundenbesuche als angenehm und bereichernd empfand (empfinde). Vor allem freu(t)e ich mich über argentinische Kundinnen und Kunden, mit denen ich ein kurzes Pläuschchen in „Argentinischem Spanisch“ – meiner eigentlichen Muttersprache – halten konnte (kann).

Adriana Netz ist Übersetzerin für Spanisch, Französisch und Deutsch. Ihre Fachgebiete sind Urkunden, Recht, Umwelt und Literatur. In ihrem Blog Über den Schreibtischrand berichtet sie von ihrem Berufsalltag als Übersetzerin von Urkunden, Rechtstexten und spanischer und lateinamerikanischer Literatur und greift auch gern Interessantes, Schönes, Nerviges und Skurriles auf, was sich neben dem Schreibtisch abspielt.

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